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Funktionelle Neurochirurgie

Funktionelle Neurochirurgie, Schmerz und Intraoperative Neurophysiologie

Die Funktionelle Neurochirurgie beschäftigt sich mit einer Vielzahl von neurochirurgischen Verfahren in der Behandlung von Funktionsstörungen des Nervensystems, wie Bewegungs-, Gang- und kognitive Funktionsstörungen, (Epilepsie), sowie von Schmerzsyndromen und psychiatrischen Erkrankungen

Prinzip der Behandlungen ist eine nach Möglichkeit nicht destruktive Modulation der Funktionen des Nervensystems, mit der die Erkrankung geheilt, die Symptome gemildert oder das Fortschreiten von erkrankungsbedingten Beeinträchtigungen verlangsamt werden kann.

Die Behandlung der Patient:innen erfolgt in einer breit gefächerten interdisziplinären Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken für Neurologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Radiodiagnostik und Strahlentherapie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie.

Die Kooperation mit der Universitätsklinik für Neurologie im Zusammenhang mit den  Behandlungskonzepten für Bewegungsstörungen wurde 2019 unter der Leitung von Dr.med.univ. Christof Brücke intensiviert. Die intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgt in der aufwendigen präoperativen Abklärung, Diagnostik und Selektion von Patient:innen für die Tiefe Hirnstimulation (THS), in der intraoperativen neurophysiologischen Testung sowie der perioperativen Therapieeinstellung der Patient:innen.

Unsere zukünftigen Projekte in diesem Bereich umfassen:

  • Umstellung der Zielpunktplanung auf ein 3T MRT System, wofür auch ein neues metallfreies Stereotaxie-Rahmensystem (Vantage™Frame, Abb. 1) vorgesehen ist.
  • Ergänzung der Planungssoftware zur Einbeziehung von Diffusion Tension Imaging (DTI) Datensätzen der MRT Planung und die Verwendung des Brainlab Planungssystems
  • Wechsel und Modernisierung des intraoperativen Microelektroden Recording Systems

Die Entwicklungen in der Technik der Stimulationssysteme mit segmentierten Stimulationselektroden und der Registrierung von lokalen Feldpotenzialen über die Stimulationselektroden helfen uns, die Therapien noch besser den individuellen Erfordernissen der Patient:innen mit Bewegungsstörungen anzupassen.

Zurzeit können Läsionen (Thalamotomien) bei Patient:innen mit Tremorerkrankungen, für die eine tiefe Hirnstimulation (THS) nicht in Frage kommt, unblutig mit dem Gamma Knife durchgeführt werden. An der Universitätsklinik für Neurochirurgie der MedUni Wien und AKH Wien steht österreichweit das einzige für diese Therapie geeignete Gerät für Patient:innen zur Verfügung.

In Zukunft MRgFUS 

MRgFUS steht für Magnetresonanztomographie gesteuerte fokussierte Ultraschallwellentherapie.  Mit dieser neuartigen Therapiemethode kann unter klinischer Beobachtung der wachen Patient:innen, ohne radioaktive Strahlung, eine Zielregion im Thalamus solange durch gebündelte Ultraschallenergie erwärmt werden, bis die Beschwerden der Tremorerkrankung verschwinden. 

Die Steuerung und Überwachung des Eingriffs erfolgen mittels MRT (Kernspintomographie, Magnetresonanztomographie), durch die der zu behandelnde Bereich lückenlos abgebildet und damit sicher behandelt werden kann. Es handelt sich dabei um ein technisch aufwendiges, für die Patient:innen aber schonendes Verfahren.

An der Etablierung, den logistischen und konstruktiven wie auch wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung der österreichweit ersten MRgFUS zur Durchführung von gezielten US-Läsionen im Gehirn wird gemeinsam mit den Universitätskliniken für Neurologie sowie Radiologie und Nuklearmedizin gearbeitet.

Die Universitätskliniken für Neurochirurgie und Neurologie der Medizinischen Universität Wien haben sich im Rahmen des interdisziplinären Projekts „Prächirurgische Abklärung und Epilepsiechirurgie“ bereits früh zum Einsatz der THS in der Behandlung der therapierefraktä- ren Epilepsie entschieden. 2011 wurde in Österreich der erste Patient mit einer THS Therapie zur chronischen Stimulation des Nucleus anterior thalami versorgt. Seit 2011 wurden acht Patient:innen operiert und in eine laufende Untersuchung der Langzeitergebnisse im Rahmen eines multizentrischen europäischen Registers eingeschlossen (Medtronic Registry for Epilepsy – MORE).

In der Behandlung therapieresistenter Epilepsien, für die kein kurativer chirurgischer Eingriff in Frage kommt, wird bereits seit 1999 die Vagusnervstimulation (VNS) erfolgreich angewendet. 

Der nichtdestruktive Charakter der Operationstechniken in der funktionellen Neurochirurgie ermöglicht es, die chirurgische Intervention bei strenger Indikationsstellung auch bei schweren therapieresistenten psychiatrischen Erkrankungen einzusetzen. In diesem Sinne wurden 2020 von Univ.-Prof. Karl Rössler erstmals in Österreich zwei Vagusnervstimulatoren zur Behandlung der schweren Depression implantiert. Die Patient:innen wurden in eine multizentrische Studie (RESTORE-LIFE) eingeschlossen, welche gemeinsam mit der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie durchgeführt wird, um die Effektivität der Therapie für die Behandlung der schweren Depression zu prüfen.

Ebenso werden Patien:innen mit schweren Zwangsstörungen für eine Behandlung mittels THS rekrutiert. Über ein spezielles Protokoll werden an der Medizinischen Universität Wien in einer monozentrischen Studie („Glukosestoffwechsel unter tiefer Hirnstimulation bei Zwangserkrankung“), die gemeinsam mit der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin durchgeführt wird, Effekte der Therapie über Messungen des Zuckerstoffwechsels im Gehirn mittels funktioneller Positronen-Emissions-Tomographie (fPET) untersucht werden.

In der Behandlung des Normaldruckhydrozephalus haben wir in Kooperation  mit der Universitätsklinik für Neurologie (Ambulanz für Bewegungsstörungen und Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen) ein Abklärungsprotokoll erstellt, welches, unter Einschluss von radiologischen und nuklearmedizinischen Untersuchungen, die Prognoseabschätzung der durch Implantation eines Ventrikuloperitonealen Shuntsystems erfolgten neurochirurgischen Therapie verbessern kann.

Einen wichtigen Teil der funktionellen Neurochirurgie  an der Medizinischen Universität Wien nimmt die Behandlung der Trigeminusneuralgie ein. In enger Kooperation mit unseren Partnerkliniken (Universitätsklinik für Neurologie und Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie) wird hier, nach erfolglosem konservativen Therapieversuch, für die Patient:innen die geeignete chirurgische Therapie indiziert.

Neben dem chirurgischen Standardverfahren der Mikrovaskulären Dekompression des Nervus trigeminus nach Jannetta – mikroneurochirurgisch mit Hilfe eines hochauflösenden Mikroskops – können wir den Patient:innen im Bedarfsfall eine Vielzahl an alternativen Eingriffen anbieten. Es stehen ablative Verfahren wie die Thermokoagulation und die Ballonkompression des Ganglion Gasseri oder die Gamma Knife-Behandlung des Nervus Trigeminus zur Verfügung. Auch kleinere Eingriffe wie Botox- und Glycerol-Injektionen oder ganglionäre lokale Opioidapplikationen werden angeboten und können ambulant durchgeführt werden.

Das Intraoperative neurophysiologische Monitoring (IOM) ist, als technisches Verfahren zur Überwachung der neurologischen Funktionen während operativer Eingriffe am Gehirn und der Wirbelsäule, ein integraler Bestandteil der neurochirurgischen Operationsplanung.

Das IOM hat durch das Potenzial, neurologische Ausfälle intraoperativ frühzeitig zu erkennen und vorherzusagen, dazu beigetragen, dass bei Hochrisikooperationen die operativen Indikationsstellungen erweitert werden und bleibende neurologische Defizite auf das Minimum reduziert werden konnten.

Die Universitätsklinik für Neurochirurgie zählt europaweit zu den ersten Institutionen, die eine routinemäßige intraoperative Diagnostik mittels motorisch evozierter Potenziale (vom Muskel und Rückenmark)  und das Monitoring von cortikobulären motorisch evozierten Potenzialen (Motorisches Hirnnervenmonitoring) etabliert hat.

Im Bereich des Intraoperativen Neurophysiologischen Monitorings ist es uns gelungen, durch die Unterstützung von zwei Mitarbeiter:innen mit einer Zusatzausbildung in diesem Spezialbereich, pro Jahr rund 200 Operationen mit IOM durchzuführen.

Movement Disorder Board

Das Movement Disorder Board wurde als interdisziplinäre Fallkonferenz 2011 etabliert. Das Board setzt sich aus Teilnehmer:innen der Universitätskliniken für Neurologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Radiologie und Neurochirurgie zusammen.

Es wird über Patient:innen mit komplexen Bewegungsstörungen nach eingehender neurologischer Abklärung (Anamnese, neurologischer Status, Genetik, neuroradiologische Befunde, klinische Befunde und Klassifikation der Bewegungsstörung) unter Einbeziehung ausführlicher Videodokumentationen des Krankheitsbildes berichtet und die Behandlungsstrategie fallbezogen etabliert.

Die Besprechung des Movement Board wird in Abständen von 1–3 Monaten einberufen und an der Universitätsklinik für Neurochirurgie abgehalten.