Vaskuläre Neurochirurgie: Eine Kombination aus Katheter und Mikrochirurgie in der Behandlung von Gefäßmissbildungen des Gehirns
Die vaskuläre und endovaskuläre Neurochirurgie befasst sich mit der Behandlung von Gefäßerkrankungen des Zentralnervensystems und seiner zuführenden Arterien. Die meisten Eingriffe werden zur Behandlung blutungsbereiter Gefäßerkrankungen des Gehirns durchgeführt, wie Aneurysmen, Angiome und durale arteriovenöse Fisteln. Für die Therapie dieser Erkrankungen stehen hochentwickelte mikrochirurgische und neurointerventionelle Techniken zur Verfügung.
Die Behandlung zerebraler Aneurysmen durch chirurgische Schädelöffnung, eine sog. Kraniotomie, und anschließenden vollständigen und permanenten Verschluss des Aneurysmahalses mit einem Metall-Clip wird seit 1937 durchgeführt.
Die Mikrochirurgische Klippung zerebraler Aneurysmen ist durch die Anwendung moderner intraoperativer bildgebender Verfahren wie die Intraoperative Angiographie, Indocyaningrün (ICG) Videoangiographie und 3D-Endoskopie weiter optimiert worden. Diese medizinisch-technischen Fortschritte haben wesentlich dazu beigetragen, die mikrochirurgische Behandlung zerebraler Aneurysmen heutzutage sicher und gefahrlos zu gestalten.
Die endovaskuläre Therapie zerebraler Aneurysmen wird seit den 70er Jahren durchgeführt. Der Zugang zum Aneurysma erfolgt nicht über eine chirurgische Schädelöffnung, sondern von „innen“ über das Gefäßsystem. Dazu wird eine Schlagader an der Leiste punktiert und ein weiches Kunststoffröhrchen, ein sog. Katheter, unter Röntgendurchleuchtung bis in die hirnversorgenden Halsschlagadern hochgeführt. Aus dieser Position werden Gefäßfüllungen, sog. Angiographien, durchgeführt.
Die Angiographie ist eine Untersuchungsmethode, bei welcher unter Röntgendurchleuchtung ein Kontrastmittel durch einen Katheter in die hirnversorgenden Gefäße injiziert wird, wodurch gesunde und krankhaft veränderte Hirngefäße dargestellt werden können. Durch diesen Katheter wird ein noch dünnerer Katheter, ein sog. Mikrokatheter, bis in das Aneurysma hochgeführt. Durch diesen Katheter können unterschiedliche Materialien, welche die Blutgerinnung innerhalb des Aneurysmas stimulieren, hochgeführt und im Aneurysma abgesetzt werden. In den meisten Fällen werden dazu Metallspiralen, sog. „Coils“, verwendet. Durch Blutgerinnung und spätere Vernarbung kommt es zu einem „biologischen“ Verschluss des Aneurysmahalses, wodurch zukünftige Aneurysmablutungen verhindert werden können.
Die endovaskuläre Therapie zerebraler Aneurysmen durch Coil Embolisation war ursprünglich nur dann möglich, wenn das Aneurysma einen im Vergleich zu seinem Sack schmalen Hals besitzt, d.h. wenn es „tailliert“ ist. Der schmale Aneurysmahals verhindert, dass die durch den Mikrokatheter eingebrachten Coils in das aneurysmatragende Hirngefäß zurückweichen, es verschließen und so zu Schlaganfällen führen können.
In der endovaskulären Therapie zerebraler Aneurysmen haben erhebliche Fortschritte in der Stenttechnologie dazu geführt, dass zahlreiche Aneurysmen, die aufgrund ihrer breitbasigen Morphologie an sich für diese Technik eher ungeeignet waren, nun sicher durch stentgestützte Coil-Embolisation oder durch den Einsatz von flussmodifizierenden Stents („Flowdiverter“) behandelt werden können.
Dabei wird der breite Aneurysmahals durch eine weiche Maschendrahtröhre, einen sog. Stent, überbrückt. Der Stent selbst verschließt den Aneurysmaeingang nicht, bietet aber den danach über einen Mikrokatheter eingebrachten Coils ein ausreichendes Widerlager, um eine sichere Coil Embolisation durchführen zu können. Um die Entstehung eines Blutgerinnsels innerhalb des Stents zu verhindern, müssen blutgerinnungshemmende Medikamente vor und nach der Behandlung eingenommen werden.
Für die Behandlung komplexer Aneurysmen stehen zusätzlich ausgereifte Techniken der Zerebralen Bypasschirurgie zur Verfügung, wodurch in schwierigsten Fällen ein sicherer Aneurysmaverschluss unter Bypassschutz möglich ist.
Wenn also der Aneurysmaverschluss weder chirurgisch noch endovaskulär unter Erhalt des aneurysmatragenden Gefäßes möglich ist, kann in seltenen Fällen das Aneurysma gemeinsam mit jenem Hirngefäß, aus welchem es sich entwickelt hat, verschlossen werden. Vor diesem sog. „therapeutischen“ Gefäßverschluss müssen zahlreiche Maßnahmen getroffen werden, um Schlaganfälle und andere schwerwiegende neurologische Konsequenzen zu vermeiden. In vielen Fällen wird deshalb vor dem therapeutischen Gefäßverschluss ein Bypass an das Gehirn gelegt, um das Hirngewebe auch nach dem Gefäßverschluss ausreichend mit Blut versorgen zu können.
Zwei Tage nach diesem Eingriff wird im Wachzustand im Operationssaal das aneurysmatragende Hirngefäß durch eine Kathetertechnik probeweise verschlossen. Bei dieser sog. „Ballon-Testokklusion“ wird nach Durchführung einer Angiographie ein dünner „Mikroballonkatheter“ unmittelbar vor dem Aneurysma aufgeblasen, das aneurysmatragende Gefäß somit vorübergehend verschlossen und der:die Patient:in über 30 Minuten neurologisch überwacht. Wenn der:die Patient:in diesen Testverschluss ohne neurologische Defizite toleriert, kann man davon ausgehen, dass auch ein permanenter Gefäßverschluss an dieser Stelle ohne Komplikationen möglich sein wird. Nach Entfernen des Ballonkatheters wird das Gefäß dann an genau derselben Stelle mit Coils verschlossen und das Aneurysma auf diese Weise von der Durchblutung abgeschnitten. Die nachgeschalteten Gehirnregionen werden über den Bypass versorgt.
Für die Behandlung zerebraler Angiome und duraler arteriovenöser Fisteln steht ein multimodales Behandlungskonzept zur Verfügung, in dem Mikrochirurgie, endovaskuläre Therapie und Neuroradiochirurgie mittels Gamma Knife aufeinander abgestimmt werden und die Behandlung komplexer Angiome mit geringer Morbidität erlauben.
Neben der Behandlung blutungsbereiter zerebraler Gefäßerkrankungen kommt, vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung und rezenter technologischer Fortschritte, der Behandlung ischämischer zerebraler Gefäßerkrankungen, insbesondere der Schlaganfalltherapie immer größere Bedeutung zu.
Zur Behandlung ischämischer Schlaganfälle stehen sowohl endovaskuläre (Thrombektomie, primär von der Klinischen Abteilung für Interventionelle Radiologie und Universitätsklinik für Neurologie angeboten) als auch mikrochirurgische Behandlungsoptionen zur Verfügung (EC-IC-Bypass).
Der vaskuläre Rufbereitschaftsdienst wurde im September 2019 mit dem Ziel etabliert, die Klinik als Referenzzentrum für Aneurysmen und sonstige vaskuläre Notfälle noch stärker zu positionieren. Gelingen sollte dadurch die durchgehende Versorgungsmöglichkeit von Subarachnoidalblutungen an allen dem AKH Wien zugewiesenen Blutungstagen.