Neurochirurgie der Zukunft: Elektronik und Digitalisierung in der Medizintechnik
Der Prozess der Digitalisierung ist auch in der Neurochirurgie in vollem Gange und revolutioniert unsere OP-Techniken und -Landschaften. Unsere Chirurg:innen und Wissenschafter:innen nehmen engagiert an diesem Gestaltungsprozess teil.
Die Kombination von strukturellen, funktionellen und metabolischen Bilddaten zu einem eingriffsspezifischen multimodalen Bild
Die Anwendung von Neuronavigationssystemen hat eine lange Tradition an der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Wien. Heute werden Navigationssysteme in nahezu allen Bereichen der Neurochirurgie eingesetzt.
Die Arbeitsgruppe für Neuronavigation entwickelt und publiziert spezielle Bildfusionsprotokolle für die Gliom-, Schädelbasis- und Hypophysenchirurgie, die kontinuierlich eingesetzt werden.
Die Faserbahnarchitektur des Gehirns wird in einer einzigartigen Kombination zwischen der anatomischen Präparation und der elektronischen Darstellung präsentiert, wodurch multimodale Bildfusionskonzepte insbesondere für die Gliomchirurgie vermittelt werden.
Für die transnasale Hypophysenchirurgie wurde das bestehende multimodale Fusionsprotokoll erweitert: Eine spezielle CT-Oberflächendarstellung der endonasalen Anatomie ermöglicht es nun, feinste Strukturen (z.B. dünne Septierungen) eindeutig zu erkennen. Um auch feine Gefäße (z.B. A. Sphenopalatina) eindeutig zu erkennen, wurde zusätzlich die MR-angiographische Darstellung verbessert. Dieses Protokoll soll zur Sicherheit der endoskopischen transsphenoidalen Eingriffe beitragen.
Für die Schädelbasischirurgie wurde am Beispiel der sphenoorbitalen Meningeome ein spezielles Navigationsprotokoll entwickelt, um neben weichen Tumoranteilen auch tumorveränderte Knochen größtmöglich, unter Schonung neurovaskulärer Strukturen, zu entfernen.
Seit 2019 stehen zu den beiden vorhandenen Medtronic Navigationssystemen zwei zusätzliche BrainLab Navigationssysteme zur Verfügung.
Mit dem Simulator werden in einer realistischen anatomischen Umgebung OP-Trainings absolviert und Operationen geplant
Vier Workstations, auf welchen eine 3D-Simulation der individuellen Patient:innenanatomie möglich ist, stehen an unserer Klinik für die präoperative Eingriffsplanung zur Verfügung.
Ein haptischer 3D-Simulator, der in Zusammenarbeit mit dem National Research Council Canada entwickelt wurde, wird im Rahmen der neurochirurgischen Ausbildung und der laufenden wissenschaftlichen Projekte eingesetzt und ermöglicht somit das Erlernen bzw. Üben von mikrochirurgischen Fertigkeiten in einer neurochirurgischen 3D-Bildumgebung. Die Benutzer:innen erhalten haptisches Feedback über die chirurgischen Instrumente und eine Punkteanzahl zur Beurteilung der eigenen Leistung.
Für Ausbildung und Lehre stehen im Bereich des mikrochirurgischen Labors ebenfalls Möglichkeiten zur dreidimensionalen Darstellung der Anatomie zur Verfügung: Neben einem Operationsmikroskop mit 3D-Videoaufnahmeoption wurde eine Roboter-Fotokamera entwickelt, die das automatisierte Aufnehmen von 3D-Bildern ermöglicht.
Roboterassistierte Neurochirurgie
Seit 2012 setzt die Universitätsklinik für Neurochirurgie ein in Österreich entwickeltes miniaturisiertes Robotersystem im Rahmen einer Machbarkeits- und Entwicklungsstudie bei stereotaktischen Eingriffen ein (z.B. Biopsien, Tiefenelektrodenimplantationen). Mit diesem Robotersystem steht erstmalig ein Gerät zur Verfügung, das im OP-Verlauf die Vorteile von hoher Positionierungsgenauigkeit (≤ 0,1mm) und geringem Platzbedarf vereint. Es konnte auch gezeigt werden, dass der Roboter aufgrund der miniaturisierten Bauform und der Verbindung mit dem vorhandenen Navigationssystem den Routineablauf im OP nicht beeinflusst und daher die Eingriffsdauer nicht verlängert wird.
Der Prototyp des Robotersystems wurde multizentrisch getestet (Wien, London, Mailand) und an unserer Klinik weiterentwickelt. Dabei wurde ein Instrumenten- und Bohrsystem implementiert, das im Vergleich zu herkömmlichen Eingriffen präzisere und minimal-invasivere Biopsien erlaubt.
Seit 2019 ist der Roboter für stereotaktische Biopsien, Implantation von Tiefenelektroden für das StereoEEG und für Laserablation zugelassen.
Roboter-navigierte Laser-Kraniotomie für die Implantation von Tiefenelektroden in der Epilepsie-Chirurgie
In den letzten Jahren haben wir in enger Kooperation mit Advanced Osteotomy Tools, einem Schweizerischen MedTech-Unternehmen, versucht, die Indikationen für einen bereits in der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie zertifizierten Laser für neurochirurgische Operationen zu erweitern.
Das konkrete Ziel der bisher in Peer-Review publizierten Studien war, die Implantation von Tiefenelektroden in der Epilepsiechirurgie zu optimieren. Die rahmenlose stereotaktische Methode mittels Roboter-gezielter Laserablation wurde erstmals am Kadaver getestet (Roessler et al., Journal of Neurological Surgery 2020 Robotic Navigated Laser Craniotomy for Depth Electrode Implantation in Epilepsy Surgery: a cadaver lab study.)
Hier zeigten sich für frontale, parietale und okzipitale Tiefenelektroden-Trajekte, welche anhand präoperativer CT-Datensätze geplant wurden, Zielpunkt-Genauigkeiten um 2,0 mm (+/- 0.64SD). Die Zeit für die Implantation war 10–15 Minuten pro Elektrode, wobei die Laserablation knapp eine Minute in Anspruch genommen hat.
Diese Ergebnisse wurden im weiteren Verlauf in mehreren in-vivo non-recovery Studien an Schweinen bestätigt (Winter et al., Frontiers in Robotics and AI. 2021: Navigated, Robot-Driven Laser Craniotomy for SEEG Application Using Optical Coherence Tomography in an Animal Model).
Hier ist auch zu erwähnen, dass es während der Operation zu keinen anästhesiologischen Problemen gekommen ist und die Tiere allesamt die Laserablationen überlebt haben. Die Ergebnisse der ersten in-vivo recovery Studie, die an der MedUni Wien an Schafen durchgeführt wurde, müssen noch weiter analysiert und ausgewertet werden, ehe es zu den ersten humanen Pilotstudien kommt.
Als bisherige Conclusio kann man festhalten, dass navigierte Roboter-gestützte Laser-Kraniotomien für die Implantation von Tiefenelektroden eine vielversprechende neue Methode gegenüber der herkömmlichen rahmenlosen handgesteuerten Kraniotomie sein können.